Vom Boom zum Bankrott
Es hätte eine Märchengeschichte werden sollen, als der Präsident von El Salvador vor rund einem Jahr verkündet hat, sein Land werde als erstes der Welt Bitcoin als Währung akzeptieren und so den wirtschaftlichen Problemen entfliehen. Doch das Gegenteil ist eingetreten: Mit dem Absturz der Kryptowährung schlittert auch der mittelamerikanische Staat immer tiefer in die Misere und stehe Medienberichten zufolge nun kurz vor dem Bankrott.
13. Mai 2022, 23.55 Uhr
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Gegen Ende der Woche fiel die Kryptowährung Bitcoin auf den tiefsten Stand seit Ende 2020. Allein auf Sicht eines Monats büßte der Bitcoin ein Drittel seines Wertes ein. Seit Jahresanfang sind es gut 40 Prozent. Auch die „New York Times“ („NYT“) schrieb in einer Analyse: „Die Welt der Kryptowährungen geriet in dieser Woche völlig aus den Fugen.“ Der Ausverkauf verdeutliche anschaulich die Risiken der experimentellen und unregulierten digitalen Währungen, schließlich könnten jahrelange finanzielle Gewinne „über Nacht“ verschwinden.
Der Rückgang der Kryptowährungen sei Teil eines breiteren Rückzugs aus risikoreichen Anlagen, der durch steigende Zinssätze, Inflation und die wirtschaftliche Unsicherheit aufgrund des Ukraine-Krieges ausgelöst worden sei. Während einige Analysten den Einbruch als „längst überfällig“ bezeichnen, vergleichen andere die Panik darüber mit dem Beginn der Finanzkrise 2008. Klar dürfte aber sein: Im Vergleich zu 2018, als Kryptowährungen um rund 80 Prozent einbrachen, hätten die fallenden Preise diesmal weitaus schwerere Konsequenzen, „weil mehr Menschen und Institutionen die Währungen halten“, so die „NYT“.
„FT“: Verlust von 30 Millionen Dollar
Auch El Salvador, ohnehin schon eines der ärmsten Länder der Welt, hat durch Bitcoin viel Geld verloren. Laut Berechnungen der „Financial Times“ („FT“) rund 30 Millionen Dollar. Und das seit September – als El Salvador als erstes Land der Welt Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel akzeptiert hatte. Bis heute ist nur die Zentralafrikanische Republik dem Beispiel El Salvadors gefolgt und führte Bitcoin als Währung ein.
Im Gesetzestext El Salvadors wurde damals festgeschrieben: Für das Wirtschaftswachstum der Nation sei es nötig, eine digitale Währung zuzulassen, deren Wert allein von marktwirtschaftlichen Kriterien abhänge. Die Regierung wollte dadurch Arbeitsplätze schaffen und Tausende Menschen in den formellen Wirtschaftskreislauf integrieren.
Bankrott „unausweichlich“
Doch der Plan ging nach hinten los: „El Salvadors Präsident (Nayib Bukele, Anm.) vergeudet immer mehr Geld seines Landes“, so die „FT“. Ebenso sei die Meinung des Marktes zu El Salvadors Bitcoin-Experiment eindeutig: „Ein Land, das wahrscheinlich bankrott war, ist jetzt fast sicher bankrott.“ Auch in einem Kommentar der „Handelszeitung“ hieß es, Bukele sei „drauf und dran, sein Land wegen seiner Kryptogläubigkeit in den Ruin zu treiben“. Und: „Ein Bankrott scheint wohl unausweichlich“.
Bukele selbst verwies auf Twitter darauf, dass die Zeit des Bitcoin noch kommen werde und man Geduld haben müsse. Die Oppositionspolitikerin Claudia Ortiz kritisierte gegenüber „Politico“ indes: „Bei der Bitcoin-Philosophie geht es um Freiheit, aber in El Salvador ist das Bitcoin-Experiment Teil eines autoritären Projekts, und das ist inkohärent.“ Eine von der Regierung kontrollierte Bitcoin-Wallet widerspreche dem Geist einer Technologie, die Geld von Regierungen trennen sollte, so der Tenor der Kritiker.
Kein Interesse in der Bevölkerung
Neben den finanziellen Einbußen scheint das Experiment aber auch unter den sechs Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen ein Misserfolg zu sein. So zeigt eine kürzlich erschienene Studie der Non-Profit-Forschungsorganisation National Bureau of Economic Research (NBER), dass das Interesse in der Bevölkerung an der neuen Währung erstaunlich gering sei.
Bitcoin
Bitcoin ist die bekannteste Digitalwährung. Sie wird nicht von einer Zentralbank kontrolliert, sondern durch ein dezentrales, energieintensives Computerverfahren geschaffen. Die Kryptowährung gilt als Spekulationsobjekt und ist heftigen Kursschwankungen unterworfen. Deshalb ist Bitcoin nach Meinung der meisten Experten als Zahlungsmittel eigentlich recht ungeeignet.
Zwar hätte sich ein Großteil der Salvadorianerinnen und Salvadorianer die von der Regierung stark beworbene „Chivo Wallet“ heruntergeladen, aber laut der Studie primär wegen des 30-Dollar-Startbonus, den man mit der Installation erhielt. Über 60 Prozent der Befragten hätten danach nie mehr mit Bitcoins gezahlt. Die Nutzung von Bitcoins konzentriere sich vorrangig auf die „bankkundige, gebildete, junge und männliche Bevölkerung“.
„Meiste Unternehmen akzeptieren Bitcoin nicht“
Dazu kommt: Das Gesetz in El Salvador sieht zwar vor, dass jeder Händler, der technisch dazu in der Lage ist, Bitcoin – neben dem Dollar – als Zahlungsmittel annehmen muss, die Realität der „technologiegestützten Finanzrevolution“ sehe aber anders aus, so „Politico“.
Konkret hieß es in dem Artikel: „Der kühne Versuch des Landes, sich vom westlichen Finanzsystem zu lösen, ist auf einige bittere Realitäten gestoßen.“ Die meisten Unternehmen würden Bitcoin nicht akzeptieren, und diejenigen, die Bitcoin akzeptierten, würden berichten, dass Kunden und Kundinnen nur selten damit zahlen. Auch die NBER-Studie besagt, dass lediglich 20 Prozent aller Unternehmen Bitcoin akzeptierten.
„Bitcoin-City“ ohne Infrastruktur
Um die Entwicklung anzukurbeln, hätte im Osten des Landes eine futuristische Bitcoin-Stadt errichtet werden sollen – doch die Einwohner und Einwohnerinnen würden immer noch auf eine grundlegende wirtschaftliche Infrastruktur warten, die Bukele bereits vor Jahren versprochen habe.
In „Bitcoin-City“ am Fuße des Vulkans Conchagua an der Pazifikküste hätten kaum Steuern fällig werden und Rechenzentren für das Schaffen der energieaufwendigen Digitalwährung entstehen sollen. Über ein Geothermiekraftwerk am Vulkan Conchagua soll die Energie erzeugt werden, die für das Schürfen der Kryptowährung nötig ist.
Viele Enttäuschungen, aber Experiment „nicht gescheitert“
Dazu wären technische Schwierigkeiten und Datenschutzprobleme gekommen. All das habe das Vertrauen der Bevölkerung in die neue Währung zusätzlich zur anfänglichen Skepsis untergraben, urteilt „Politico“ und spricht von vielen Enttäuschungen.
Trotz allem sei das Experiment laut „Politico“ nicht gescheitert: Die Initiative hätte Touristen sowie Investorinnen und Investoren angezogen. Zudem würden „Befürworter sagen, dass trotz anfänglicher Rückschläge das Interesse der Bürgerinnen und Bürger langsam wächst“. Und: Wenn der Bitcoin-Kurs eine dramatische Erholung erfahre, könne die Begeisterung für das Projekt plötzlich wieder ansteigen.
Author: Nathan Hahn
Last Updated: 1702620121
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